Die Folgen des PKK-Verbots in Deutschland und auf internationaler Ebene

Am 26. November 1993 verhängte der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther das PKK-Betätigungsverbot. Auch wenn es davor bereits politische Strafverfahren gegen kurdische Einzelpersonen gab, bildet es bis heute die Grundlage für die umfangreichste Repression gegen eine ausländische politische Gruppierung in der Bundesrepublik Deutschland. Nahezu alle Lebensbereiche von in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden sind davon betroffen. Sowohl Einzelpersonen, kurdische Vereine, Institutionen als auch Medien werden flächendeckend überwacht, eingeschüchtert und kriminalisiert, wenn sie sich nicht von ihren politischen Überzeugungen distanzieren, die das Ergebnis einer jahrzehntelangen Verleugnung und Vernichtung in ihren kurdischen Herkunftsgebieten sind. Dazu wird vom deutschen Staat das ganze Spektrum juristischer Möglichkeiten zur Anwendung gebracht.


Im strafrechtlichen Bereich ist es vor allem der § 20 Vereinsgesetz (Zuwiderhandlung gegen Verbote), der zu unzähligen Strafverfahren wegen verbotener Parolen, Symbole und Fahnen auf Demonstrationen und Veranstaltungen geführt hat. Höchste Gerichte beschäftig(t)en sich damit, wie viele Fahnen mit dem Bild des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalans auf einer Demonstration zulässig sind und welche Hemdfarbe er auf diesen tragen darf. § 20 Vereinsgesetz bildet zudem die Grundlage für Razzien, die regelmäßig in kurdischen Vereinen, aber auch politischen Institutionen und Medien durchgeführt werden.

Von besonderer Brisanz sind Anklagen sogenannter Organisationsdelikte nach den Paragraphen 129, 129a und 129b Strafgesetzbuch. Sie beschreiben die Mitgliedschaft in einer kriminellen bzw. inländischen oder ausländischen terroristischen Vereinigung. Zu einer Verurteilung ist hier kein Nachweis individueller Straftaten notwendig, sondern alle angeblichen Straftaten der betroffenen Organisation können dem/den Einzelnen zur Last gelegt werden. Bis 1997 wurden angebliche Kader der PKK in Deutschland nach § 129a als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Aufgrund von Absprachen zwischen deutschen Geheimdiensten und der PKK-Führung erfolgte danach eine „Rückstufung“ und Anklagen erfolgten nun mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach § 129. Nach den Anschlägen vom 11. September wurde 2002 der § 129b eingeführt, der auch die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Aktion unter Strafe stellt. Einmalig im deutschen Strafrecht, dürfen Staatsanwaltschaften aber nur ermitteln, wenn das Bundesjustizministerium zuvor eine Ermächtigung zur Strafverfolgung nach § 129b in jedem Einzelfall erteilt. Wegen der intransparenten und undemokratischen Regelung, wird das Verfahren von zahlreichen Juristinnen und Juristen als rechtswidrig bezeichnet. Nicht zuletzt, weil einzig das Ministerium darüber entscheidet, was als terroristische Vereinigung einzustufen und zu verfolgen ist.

Im Oktober 2010 entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Revisionsverfahren gegen einen nach § 129 angeklagten kurdischen Aktivisten, dass in einer Neuverhandlung eine Verurteilung nach den neuen Maßstäben des § 129b zu prüfen sei. Nach der erforderlichen Zustimmung des Justizministeriums begann eine neue Repressionsrunde, in der bislang fünf kurdische Personen nach §129b zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden; in vier Fällen sind die Urteile noch nicht rechtskräftig. Damit bleibt sich Deutschland seiner unter allen Bundesregierungen der letzten 20 Jahre betriebenen Politik treu, alle politischen Dimensionen des Konflikts in Kurdistan auszublenden sowie ideologische und strukturelle Veränderungen der kurdischen Befreiungsbewegung komplett zu ignorieren.

Breite Schichten der kurdischen Bevölkerung werden auch auf anderen Ebenen eingeschüchtert. So wurden und werden Erwachsenen und auch Jugendlichen, die sich z. B. an legalen und friedlichen kurdischen Demonstrationen oder Veranstaltungen beteiligt haben oder legale kurdische Vereine besuchen, eine Einbürgerung unter Verweis auf ihre „extremistischen“ Bestrebungen verweigert. Die Beweise dazu werden den Einbürgerungsbehörden von den Verfassungsschutzämtern geliefert und zeigen eine Intensität der Überwachung der kurdischen community, die das angebliche Versagen der Geheimdienste bei den NSU-Morden noch einmal in einem anderen Licht erscheinen lässt. Gerade junge kurdische Menschen werden von Verfassungsschutzpersonen massiv angesprochen und für eine Zusammenarbeit unter Druck gesetzt. Zudem wird Asylberechtigten, die einst aufgrund ihrer politischen Tätigkeit für die kurdische Befreiungsbewegung in der Türkei in Deutschland Schutz erhielten, dieser wegen angeblicher Asylunwürdigkeit aufgrund terroristischer Aktivitäten wieder aberkannt. So fallen sie nach vielen Jahren gesicherten Aufenthalts wieder auf die unterste Stufe, der „Duldung“, was für die Menschen eine permanente Abschiebungsbedrohung bedeutet.

Erfolgte die Repression gegen die kurdische Befreiungsbewegung in den 1990er Jahren noch weitgehend im nationalen Rahmen und wurde innerhalb der EU hauptsächlich von Deutschland und Großbritannien in Absprache mit der Türkei vorangetrieben, begann nach 2001 eine kaum noch verheimlichte internationale politische Koordination zwischen der Türkei, der EU und der USA. Ausdruck innerhalb der EU ist die Listung der PKK und ihrer sogenannten Nachfolgeorganisationen auf der entsprechenden Liste terroristischer Organisationen, die zwar bislang wenig direkte strafrechtliche oder ökonomische Konsequenzen hatte, den politischen Spielraum kurdischer Organisationen, ExilpolitikerInnen und Medien allerdings erheblich einengt. So gab es in Belgien im März 2010 spektakuläre Polizeiaktionen gegen das Studio des kurdischen TV-Senders ROJ-TV und parallel auch gegen PolitikerInnen des als Exilparlament fungierenden Kurdischen National Kongresses. Im Januar 2012 wurde dann ROJ-TV, das von Dänemark aus gesendet hat, von einem Gericht in Kopenhagen wegen Unterstützung terroristischer Bestrebungen zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Der endgültige Entzug der Sendelizenz erfolgte im Juli 2012.

In den letzten Jahren setzte vor allem Frankreich, das Anfang der 1990er Jahre auch unter dem Einfluss der damaligen Präsidentengattin Danielle Mitterrand eine positive Rolle spielte, Kurdinnen und Kurden massiv unter Druck. Zahlreiche Verhaftungen und Verurteilungen erfolgten vor allem unter dem Vorwurf der Finanzbeschaffung für eine terroristische Organisation. Erschüttert hat uns der Mord an den drei kurdischen Exilpolitikerinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez am 9. Januar 2013 im Kurdistan Informationsbüro in Paris. Bis zum heutigen Zeitpunkt hat der französische Staat wenig unternommen, dieses Verbrechen, in das vermutlich verschiedene Geheimdienste verwickelt sind, aufzuklären.

Die von der Ideologie der PKK geprägte kurdische Befreiungsbewegung hat sich zu einer bestimmenden Kraft nicht nur in der Türkei, sondern im gesamten Mittleren Osten entwickelt. Trotz der 2009 in der Türkei einsetzenden Verhaftungswelle gegen kurdische AktivistInnen im Rahmen der sogenannten KCK-Verfahren hat sich die Idee des demokratischen Konföderalismus in der Bevölkerung weiter verbreitet. Im kurdischen Teil Nordsyriens, „Rojava“, wird unter den Bedingungen des Krieges und Wirtschaftsembargos versucht, ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Ethnien und Religionen nach diesen Grundsätzen zu organisieren. Dagegen setzen die USA und die dominierenden Länder der EU weiter auf eine Destabilisierung des Mittleren Ostens durch Krieg und Gewalt, indem sie die Volksgruppen aufeinanderhetzen, um ihre geostrategischen Interessen durchzusetzen. Dies ist der Hintergrund, warum die kurdische Bewegung, die ihre eigenen emanzipatorischen Konzepte verfolgt, gerade auch in Europa als terroristisch diffamiert und bekämpft wird. Diese Politik ist aber absehbar zum Scheitern verurteilt. So sah sich die Türkei als stärkster Akteur der Kurdenunterdrückung in der Region mittlerweile genötigt, den PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan als Verhandlungspartner für eine friedliche und demokratische Lösung des seit Jahrzehnten andauernden Konflikts zu akzeptieren. Auch wenn der Verhandlungsprozess aktuell ins Stocken gekommen ist, spricht alles dafür, dass die Kurdinnen und Kurden im Mittleren Osten eine positive, akzeptierte Rolle einnehmen werden. Dazu könnte beitragen, das anachronistische Betätigungsverbot der PKK in Deutschland endlich aufzuheben.

AZADÎ e.V., Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland