»Die Erinnerung an ihn steht für viele Kämpfe«
»Kampagne Halim Dener« erinnert an den vor 30 Jahren erschossenen Jugendlichen. Konferenz in Hannover geplant.
Interview: Gitta Düperthal
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Mit der Parole »Kämpfe verbinden!« ruft die »Kampagne Halim Dener« für den 29. Juni zu einer Gedenkkonferenz für den 16jährigen Aktivisten auf, der am 30. Juni 1994 von der Polizei in Hannover erschossen wurde. Für den 6. Juli rufen Sie außerdem zu einer Demonstration auf.
jw: Wie kam es zu der Gewalttat durch einen Polizisten vor 30 Jahren?
Damals tobte ein schmutziger Krieg der Türkei im eigenen Land gegen Nordkurdistan, bis an die Grenze nach Syrien oder dem Irak – mit Hilfe der NATO und Deutschlands. Unter der Zivilbevölkerung in kurdischen Städten gab es viele Opfer. Mehr als 3.500 Dörfer wurden niedergebrannt. Auch mit Panzern aus alten NVA-Beständen wurde dort aufgefahren und gemordet. Diese Politik der verbrannten Erde geschah unter Beteiligung der deutschen Bundesregierung.
Halim wurde damals als Minderjähriger im Widerstand dagegen festgenommen und gefoltert. Er musste nach Deutschland flüchten und beantragte Asyl. Hier landete er wieder in einer Atmosphäre, in der ein Spezialkrieg gegen Kurdinnen und Kurden geführt wurde. 1993 war das PKK-Verbot verhängt worden: Kurde gleich PKK, gleich Terrorist; Vereine wurden geschlossen etc. All das passierte, was wir heute noch kennen. Kurdinnen und Kurden wurden ihrer Rechte beraubt. Halim klebte damals am 30. Juni 1994 Plakate der Volksbefreiungsfront Kurdistans, kurz ERNK, um für ein Ende des schmutzigen Krieges und gegen das Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans, die PKK, zu protestieren. Dabei wurde er von den SEK-Polizisten in Zivil Klaus T. und Frank H. überrascht. Bei der Festnahme schoss man ihm in den Rücken. Er starb an der Verletzung.
jw: Weshalb wurde der Beamte nach einem drei Jahre dauernden Prozess freigesprochen?
Der Prozess stand sinnbildlich für den rassistischen Generalverdacht gegen die Kurdinnen und Kurden. Seine Familie durfte zunächst nicht am Gerichtsverfahren teilnehmen, das musste erst erkämpft werden. Sie musste Leibesvisitationen über sich ergehen lassen, der Täter dagegen trat in voller Kampfmontur auf. Das Gericht kam zum Ergebnis, dem Polizisten Klaus T. sei vermeintlich in »einer Stresssituation« ein Schuss losgegangen: Ein voll ausgebildeter Polizist schießt also einen Jugendlichen aus einer Entfernung von 25 Zentimetern unbeabsichtigt in Rücken! Der Schütze wurde von seinem Kollegen gedeckt, Schmauchspuren wurden beseitigt. Im Februar dieses Jahres kam heraus, dass Frank H. bei den Putschplänen der Reichsbürger um Prinz Reuß eine gewichtige Rolle spielte. Ein Teil der Geschichte ist eine bis heute politisch unaufgearbeitete Entwicklung der Polizei und deren oft fehlgeleitete staatliche Gewalt.
jw: In der Unterzeile zur Kampagne zum 30. Todestag heißt es »Gefoltert. Geflüchtet. Verboten. Erschossen«. Was ist das Ziel?
Vor dem Hintergrund, dass immer mehr migrantische Menschen von der Polizei bedroht oder liquidiert werden, wollen wir fortschrittliche und linke gesellschaftliche Kräfte zusammenbringen. Die Erinnerung an Halim Dener steht zudem für andere Kämpfe, die sich in seiner Geschichte widerspiegeln: Wir müssen uns damit auseinandersetzen, warum Menschen fliehen; vor Krieg, politischer Verfolgung oder Folgen des Klimawandels. Die Bundesregierung aber ist bereit, zunehmend von der AfD propagierte Phantasien der »Remigration« umzusetzen. Die Menschenwürde wird mit Füßen getreten; Gesetze, die sie schützen, sind ausgehöhlt. Unsere Kampagne fordert nicht nur »Weg mit dem Verbot der PKK«, wir wollen die Menschenrechte, die sozial-ökologische und demokratische Entwicklung fördern.
jw: Und wie gelingt die Mobilisierung bislang?
Wir sprechen von der Mitte der Gesellschaft bis in die radikale Linke bundesweit Menschen an. Unseren Aufruf haben 30 Gruppen, Initiativen und Organisationen unterschrieben. Seit Wochen finden Veranstaltungen statt. Eine breite Palette von der Ökologie- bis zur feministischen und migrantischen Bewegung ist beteiligt, um internationalistische und antirassistische Kräfte zu sammeln und so ein Gegengewicht zur Teile- und Herrsche-Politik, der Hetze, Aufrüstung und Kriegführung zustande zubringen.
Hinweis:
Die investigative Recherchearbeit der HAZ zur Verwicklung von Frank H. bei den Putschplänen gibts hier.