»Daß es zu Toten kommt, war absehbar«
Demo gegen rassistische Polizeigewalt: Vor 20 Jahren wurde Halim Dener von hinten erschossen. Gespräch mit Thomas Marburger
Interview: Elmar Millich
Link: http://www.jungewelt.de/2014/06-16/056.php
Thomas Marburger ist einer der Sprecher der »Kampagne Halim Dener«, die an den vor 20 Jahren von der Polizei in Hannover erschossenen kurdischen Flüchtling Halim Dener erinnert.
jw: Für den kommenden Samstag rufen Sie dazu auf, mit einer Demonstration von Teilnehmern aus ganz Deutschland in Hannover an den Kurden Halim Dener zu erinnern. Wie war er zu Tode gekommen?
Die genauen Umstände sind bis heute unklar, wofür die Schuld bei den ermittelnden Behörden und den Gerichten liegt. Ein Aufklärungswille hat ihrerseits nie bestanden. Die Ermittlungen waren fehlerhaft und haben Leerstellen gelassen. Fest steht, daß Halim mit Freunden in der Nacht des 30. Juni 1994 in der Hannoveraner Innenstadt Plakate mit dem Emblem der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans ERNK klebte und bei einem Festnahmeversuch von einem Polizisten in den Rücken geschossen wurde. An der Verletzung ist er wenig später gestorben. Der Täter hat behauptet, der Schuß habe sich versehentlich gelöst. Dem haben Indizien und Zeugenaussagen widersprochen. Trotzdem hat das Gericht den Polizisten sogar vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Der Beamte des Sondereinsatzkommandos war nach Ansicht des Gerichts mit der Festnahme eines unbewaffneten 16jährigen so überfordert, daß er – so wörtlich! – »den Schuß unter Streß in einer außergewöhnlichen Situation unabsichtlich abgegeben« habe.
jw: Wie war 1994 das politische Klima im Umgang mit der kurdischen Befreiungsbewegung?
Im November 1993 war das PKK-Verbot ergangen, in dessen Zuge drei Dutzend Organisationen und eine Betätigung im Sinne der Arbeiterpartei Kurdistans PKK – also jegliches politisches, soziales und kulturelles Engagement in der kurdischen Sache – verboten wurden. Die PKK galt als terroristische Vereinigung und damit jegliche Unterstützung als terroristischer Akt. Halims Mörder hat ausgesagt, er habe in der Festnahmesituation »nicht nur an eine Ordnungswidrigkeit oder eine Sachbeschädigung gedacht«, sondern an eine Unterstützungshandlung für die PKK. Das PKK-Verbot wurde von einer monatelangen Hetze gegen Kurden begleitet, die von Medien und Politik als gewalttätig und kriminell dargestellt wurden. Daß es zu Toten kommen würde, war absehbar.
jw: Hat sich daran heute viel geändert?
Die offene Brutalität ist einer unauffälligeren Repression gewichen, doch das PKK-Verbot hat nach wie vor Bestand. Die Stigmatisierung und Verfolgung trifft Zehntausende Menschen und ihre Organisationen. Es handelt sich also nicht um ein »rein kurdisches« Problem, sondern um eine Frage der Demokratie. Der Untertitel unserer Kampagne »gefoltert. geflüchtet. verboten. erschossen« soll auf weitere Ursachen hinweisen, die zum Tod Halims geführt haben.
Halim wurde in türkischer Haft gefoltert. Er war vor dem Krieg in Kurdistan geflohen und hatte etwa einen Monat vor seinem Tod in der BRD einen Asylantrag gestellt. Ein Jahr zuvor war nach öffentlicher rassistischer Hetze und Pogromen an Flüchtlingen und Migranten dieses Grundrecht aber faktisch abgeschafft worden. Der Schuß auf Halim ist auch ein Beispiel rassistischer Polzeigewalt.
jw: Bleibt die Demonstration eher eine kurdische Angelegenheit oder findet Sie auch Unterstützung in der deutschen Linken?
Der Aufruf zur Demo wird mittlerweile von 45 Gruppen vor allem aus dem antifaschistischen und autonomen Spektrum, aber auch von der DKP Hannover, der Grünen Jugend Göttingen und der Roten Hilfe unterstützt. Unsere Annahme, daß die Kämpfe gemeinsam gedacht und geführt werden müssen, findet Zustimmung.
jw: Welches Anliegen verfolgen Sie mit der Demonstration? Der Tod von Halim Dener liegt nun ja schon 20 Jahre zurück …
Gerechtigkeit wird es wohl auch in diesem Fall von Polizeigewalt nicht geben. Wir zeigen aber, daß wir Halim nicht vergessen und die Täter nach wie vor bekannt sind. Wir schaffen mit der Kampagne Bewußtsein bezüglich der Probleme, die zum Mord geführt haben sowie Öffentlichkeit für die Kämpfe gegen diese Probleme. Denn das ist es, was den Profiteuren von Krieg, Flucht, Repression, Rassismus und Gewalt die Geschäfte erschwert. Genau dazu wollen wir mit Veranstaltungen an vielen Orten sowie mit der zentralen Demonstration in Hannover beitragen.