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Tischbild gegen Polizeigewalt auf dem Halim-Dener-Platz soll weg

Die Stadt Hannover will ein großes Tischgemälde gegen Polizeigewalt, das im Rahmen des Gedenkens und der Proteste zum 27. Todestag von Halim Dener entstanden ist, auf dem Halim-Dener-Platz entfernen lassen.
Link: https://anfdeutsch.com/aktuelles/-28105

Im Rahmen des Gedenkens und der Proteste zum 27. Todestag von Halim Dener ist auf dem Halim-Dener-Platz in Linden-Nord ein großes Tischgemälde entstanden. Die Stadt Hannover will es nun entfernen lassen.

Auf dem Halim-Dener-Platz steht ein langer Tisch, der 2017 im Rahmen der Umgestaltung bemalt wurde. Dafür erhielt eine Künstler:innengruppe um Jascha Müller den Auftrag von der Stadt Hannover. Jascha Müller hatte sich damals ausbedungen, den Tisch erneut bemalen zu können. Das wurde ihm auch genehmigt. „Ich habe diese Genehmigung vom Fachbereich Umwelt, Stadtgrün, Planung und Bau schriftlich“, so Jascha Müller. „Nicht sexistisch und nicht rassistisch sollte der Inhalt des Graffiti sein, eine richtige Beschränkung.“

Am 3. Juli 2021 wurde der Tisch im Rahmen der Gedenk- und Protestaktionen anlässlich des Todestages von Halim Dener neu gestaltet und bemalt. „Der Tisch ist den Opfern rassistischer Polizeigewalt gewidmet“, so Dirk Wittenberg von der Kampagne Halim Dener.

Kurze Zeit später, am 14. Juli, wurde Jascha Müller von einem Mitarbeiter der Stadt Hannover angerufen. Jetzt hieß es mit einem Mal, ein Graffiti mit politischer Aussage könne nicht zugelassen werden, die Stadt werde das Graffiti übermalen.

Für Dirk Wittenberg von der Kampagne Halim Dener ist das ein Déjà-vu-Erlebnis. Schon 2014 hatte die Stadt damit gedroht, ein Wandgemälde zu Halim Dener im Unabhängigen Jugendzentrum Kornstraße (UJZ Kornstraße) zu übermalen. Seinerzeit erklärte der Ordnungs- und Rechtsdezernent Hansmann auf einer Veranstaltung im Pavillon, dass die Stadt von sich aus nicht aktiv geworden wäre. Sie wäre damals allerdings von der Polizei gebeten worden, gegen das Gemälde vorzugehen, und das habe man dann auch gemacht.

Dirk Wittenberg geht auch diesmal davon aus, dass die Stadt nicht von sich aus aktiv geworden ist: „Wir können es nicht beweisen, aber wir halten es für sehr wahrscheinlich, dass es auch diesmal eine Intervention der Polizei bzw. des Staatsschutzes gegeben hat und die Stadt folgt brav. Das ist besonders peinlich, denn die Stadt tut so, als wäre ihr der Zusammenhang von politischer Kritik und Kultur ein Herzensanliegen. Hier aber wo es wehtut, wo es ein Engagement aus der Gesellschaft gibt, fällt ihr wieder mal nur eines ein: verschwinden lassen und aus dem öffentlichen Raum verbannen. Wenn es um Kritik an rassistischer Polizeigewalt geht, wenn es um Halim Dener geht, dann bleibt alles so wie die letzten 25 Jahre – Repression.“

AJZ Bielefeld hat gewonnen: Halim Dener bleibt!

Nach fast drei Jahren hat das OLG Hamm entschieden, dass die Weigerung, ein Wandbild von Halim Dener von der Hauswand des AJZ Bielefeld zu entfernen, strafrechtlich nicht zu verfolgen ist. Das AJZ fordert die Aufhebung des PKK-Verbots.
Link: https://anfdeutsch.com/aktuelles/-22977

Am Montag wurde der Freispruch des Vorsitzenden des Trägervereins des AJZ Bielefeld vom Oberlandesgericht Hamm bestätigt. Die Weigerung, das Halim-Dener-Graffito von der Hauswand des Arbeiterjugendzentrums in Bielefeld zu beseitigen, ist strafrechtlich nicht zu verfolgen.

Das seit fast drei Jahren andauernde Verfahren zu dem Wandbild, das mittlerweile seit einem Vierteljahrhundert existiert, geht auf eine Initiative des Bundesinnenministeriums zur verschärften Kriminalisierung der kurdischen Befreiungsbewegung zurück. Um die türkische Staatsführung zufriedenzustellen, wurde bundesweit versucht, alle Symbole der Bewegung aus dem öffentlichen Raum zu entfernen. Das AJZ weigerte sich, dieses Spiel mitzuspielen.

Zu dem Freispruch teilt die Hausgemeinschaft des AJZ mit:

„Nachdem wir im Februar 2018 von der Polizei aufgefordert wurden, das Bild wegen der angeblichen Darstellung verbotener Symbole von der Fassade unseres Zentrums zu entfernen, wurde stellvertretend für uns der Vorsitzende des Vereins in einem ersten Verfahren vor dem Amtsgericht Bielefeld im September 2019 wegen der Unterlassung der Entfernung des Bildes zu einer Geldstrafe verurteilt. Hiergegen legten wir Berufung ein. In dem folgenden Verfahren vor dem Landgericht Bielefeld am 17. Juni 2020 wurde das Urteil aufgehoben und der Vorsitzende freigesprochen. Da es die Staatsanwaltschaft Bielefeld aber weiterhin auf eine Verurteilung abgesehen hatte, wurde von dieser Revision eingelegt und es kam nun zu einer mündlichen Verhandlung vor dem OLG Hamm. Dort wurde der Freispruch bestätigt!

Wie dieser Freispruch inhaltlich begründet wird, können wir euch leider noch nicht im Detail mitteilen. Prozessbeobachter*innen berichteten, dass der Vorsitzende Richter von einer Gesinnungsjustiz sprach, die er für seit langem überwunden gehalten hat. Wir warten die Urteilsbegründung ab und werden dann noch einmal Genaueres bekannt geben.“

Weg mit dem Verbot der PKK

„Wir freuen uns sehr über den Freispruch und über die Solidarität, die wir im Laufe der Auseinandersetzung um den Erhalt des Bildes zum Gedenken an Halim Dener erfahren haben.
Es ist schon Ironie, dass der Prozess gerade in der Woche stattfand, in der sich auch das Verbot der PKK zum 27. Mal jährt. Denn Halim Dener wurde 1994 in Hannover von der Polizei erschossen, als er Plakate mit dem Symbol der ERNK, die im Zuge des PKK-Verbotes ebenfalls verboten wurde, aufhängte. Der nunmehr gescheiterte Versuch der Bielefelder Polizei und Staatsanwaltschaft, das Bild an unserer Hauswand zu kriminalisieren, zeigt einmal mehr, dass der Wille zur Kriminalisierung des kurdischen Widerstandes auch nach all den Jahren ungebrochen ist.“

Die Erklärung der Hausgemeinschaft des AJZ endet mit der Forderung: „Weg mit dem Verbot der PKK! Keine Kriminalisierung des kurdischen Widerstandes!“

Einladung zur Buchvorstellung „HALIM DENER – GEFOLTERT. GEFLÜCHTET. VERBOTEN. ERSCHOSSEN.“

Das Buch handelt von einem 16-jährigen Jugendlichen, der 1994 aufgrund von Kolonisation und Verfolgung gegen die kurdische Bevölkerung aus Nord-Kurdistan nach Deutschland fliehen musste. Er floh an einen Ort, an dem er noch im selben Jahr durch eine Kugel eines SEK-Beamten getötet wurde. Das Buch dokumentiert die Geschehnisse und politischen Aktivitäten seit jener Zeit. Damit wird zum einen ein würdevolles Gedenken an Halim geschaffen und zum anderen ein Beitrag zur Bedeutung von Erinnerungskultur, Protest und Widerstand geleistet. Die Beiträge widmen sich sowohl dem Tod Halim Deners 1994 und den darauffolgenden Reaktionen, als auch einer Reflexion der politischen Arbeit der „Kampagne Halim Dener“.

Als „Kampagne Halim Dener“ laden wir zur öffentlichen Buchvorstellung am Freitag, 24.Juli 2020 um 16 Uhr auf den Halim-Dener-Platz (30451 Hannover) ein. Durch die Veranstaltung führt Hanna Legatis.

Das Buch ist anschließend in Hannover im Annabee-Buchladen, Infoladen Kornstraße, NAV-DEM Hannover sowie bundesweit in weiteren kurdischen und linken Buch-/ und Infoläden für 10 € zu erhalten. Zudem kann das Buch über den Literaturvertrieb der Roten Hilfe bezogen werden (literaturvertrieb@rote-hilfe.de).

In Gedenken an alle Menschen, die Schutz vor Krieg und Gewalt gesucht haben und Opfer von Fremdenhass und staatlicher Gewalt geworden sind.

 

Freispruch für Halim-Dener-Graffiti in Bielefeld

Der Angeklagte im Prozess um das Halim-Dener-Graffiti am AJZ Bielefeld ist mit Verweis auf die Kunst- und Meinungsfreiheit freigesprochen worden. Nach Ansicht des Richters führt die Türkei einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Kurden.
Link: https://anfdeutsch.com/aktuelles/-19848

Vor dem Landgericht Bielefeld hat heute die Verhandlung im Berufungsverfahren wegen des Halim-Dener-Wandbildes am Arbeiterjugendzentrum (AJZ) stattgefunden. Der Vorsitzende des Trägervereins war in erster Instanz zu 30 Tagessätzen à zwanzig Euro verurteilt worden, weil sich das AJZ weigert, das Bild zu entfernen. Vor dem Gericht hatten sich am Morgen zahlreiche Menschen versammelt, um das Verfahren zu begleiten.

Das AJZ war 2018 im Zuge einer Initiative des Bundesinnenministeriums von der Polizei aufgefordert worden, das Graffiti, das den 1994 in Hannover von der Polizei erschossenen kurdischen Jugendlichen Halim Dener zeigt, zu entfernen. Die Hausversammlung des selbstverwalteten Zentrums lehnte die von Polizei und Staatsanwaltschaft geforderte Entfernung des Wandbildes, das seit über 20 Jahren an die Ermordung von Halim Dener erinnert, entschieden ab.

Freispruch wegen Kunst- und Meinungsfreiheit

Der heutige Prozess endete mit einem Freispruch. Der Vereinsvorsitzende bleibt straffrei, das Wandbild an der Fassade des AJZ bleibt erhalten. Der Richter folgte der Argumentation der Verteidigung, die sich auf die Kunst- und Meinungsfreiheit berufen hatte. Der Richter äußerte, diese Güter ständen höher als das Flaggenverbot. In der Urteilsbegründung argumentierte der Richter damit, dass der Vorstand des AJZ nicht genug Handlungsfreiheit besitzt, um Änderungen an dem Verein selbst vorzunehmen, und daher nicht zur Entscheidung in diesem Sachverhalt verpflichtet ist. Außerdem meinte der Richter, dass der Fall zeitgeschichtlich überholt ist und die Auflagen keine Anwendung finden.

„Türkei führt einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Kurden“

Im Anschluss an die juristische Argumentation äußerte der Richter eine eigene Meinung zur kurdischen Frage. Er sagte, dass die PKK in der Vergangenheit an ihm negativ erscheinenden Handlungen beteiligt war, jedoch die Gegenwart zeige, dass die Türkei einen völkerrechtswidrigen gegen die Kurden führt.

„Halim bleibt uns für immer in Erinnerung“

Prozessbeobachter*innen beurteilten den erfolgreichen Ausgang des Verfahrens als „Gegenschlag zur Kriminalisierung der Kurdinnen und Kurden und der PKK in Deutschland“ und betonten nochmals: „Ein legitimer Kampf muss von jedem Ort der Welt verteidigt werden. Dass wir historische Erfolge gegen Faschismus, Kriminalisierung und Verfolgung erzielen, wenn wir an unser Ziel glauben und dafür grade stehen, hat uns der heutige Tag nochmals gezeigt. Wir grüßen die Familie Dener herzlich. Halim bleibt uns für immer in Erinnerung!“

An der Prozessbeobachtung und der Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude beteiligten sich neben AJZ-Aktivist*innen die Studierendenverbände YXK/JXK, die kurdischen Jugendorganisationen TCŞ/JCA, die örtliche Antifa, ALIBI (Antinationalistische Linke Bielefeld), Café Exil und Antifa AG der Universität Bielefeld.

Bezirksrat Linden-Limmer wehrt sich gegen OB und Ministerium

(Pressemitteilung der Kampagne Halim Dener vom 31.01.2018)

Am Mittwoch, 31.01.2018, musste sich der Bezirksrat Linden-Limmer erneut mit der Benennung des Halim-Dener-Platzes befassen. Nachdem die von Oberbürgermeister Stefan Schostok angerufene Kommunalaufsicht zu Beginn des Monats entschieden hatte, dass die Platz-Benennung im hannoverschen Linden-Nord rechtswidrig und darum zu beanstanden sei,¹ hatte die Stadtverwaltung dem Bezirksrat eine Drucksache zum Thema auf die Tagesordnung gesetzt.
Der Bezirksrat sollte nach dem Willen der Verwaltung beschließen, die Stadt Hannover aufzufordern, keine Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Kommunalaufsicht einzulegen. Ein gemeinsamer Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, Piraten und Die Partei sah allerdings vor, den Antrag dahingehend abzuändern, dass der Bezirksrat 1. die ihm vorgelegte Drucksache ablehnt, 2. selbst Rechtsmittel gegen die Beanstandung seines Beschlusses einlegt, 3. Rechtsmittel einlegt, um OB Schostok zu einer Klage gegen die Entscheidung der Kommunalaufsicht zu verpflichten, und 4. damit Rechtsanwältin Angelika Bode beauftragt.
Der Abstimmung zu diesem Änderungsantrag ging eine kleine Debatte voraus, in der es sich Vertreter*innen von SPD, CDU und FDP nicht nehmen ließen, ihr Unverständnis gegenüber der Platzbenennung als solcher und dem Gang des Bezirksrats vor die Gerichte auszudrücken. Ratsherr Ekim Bulut (FDP) ließ sich sogar zu einem gewagten Vergleich hinreißen: der Bezirksrat müsse sich an gewisse Grenzen halten, einen Platz nach Tayyip Erdoğan oder Adolf Hitler zu benennen, würde auch niemand unterstützen können. Wo er zwischen einem 16-Jährigen, der in Hannover von einem Polizisten erschossen wurde, und den beiden menschenverachtenden Diktatoren genau die Parallelen zieht, führte Bulut nicht mehr aus.
Stattdessen begründete Luk List (DIE LINKE) den Antrag damit, dass es nunmehr um die Rechte des Bezirksrats gehe, in die OB und Kommunalaufsicht unzulässiger eingreifen würden. Das sei Manier eines Obrigkeitsstaats. Zudem sei die Platzbenennung rechtmäßig und allein Entscheidung des Bezirksrats. Bezirksbürgermeister Rainer Grube unterstricht die Wichtigkeit juristischer Schritte gegen die Entscheidung der Kommunalaufsicht und das Verhalten des OBs, da ein solcher Fall bisher in Niedersachsen nicht vor Gericht verhandelt worden sei und Präzendenzwirkung hätte.
Die Abstimmung verlief dann zügig und eindeutig: mit 11 Stimmen für die Änderung, 6 Nein-Stimmen und 1 Enthaltung stimmte der Bezirksrat für rechtliche Schritte gegen Kommunalaufsicht und OB Schostok.

Die Kampagne Halim Dener begrüßt die heutige Entscheidung des Bezirksrats ausdrücklich. Sie sieht nicht nur eine Notwendigkeit darin, weiter für ein würdevolles Gedenken an Halim Dener und einen dafür geeigneten Ort in Hannover zu streiten, sondern auch demokratische und Bürger*innenrechte zu verteidigen. In einer Zeit, in der mit deutschen Waffen Krieg in Kurdistan geführt wird und die Bundesregierung dem AKP-Regime den Rücken stärkt, in einer Zeit, in der Rechtspopulist*innen in die Parlamente einziehen und Regierende mit autoritären Mitteln von oben herab entscheiden, macht eine selbstbewusste Kommunalpolitik Mut.

Am Donnerstag wird der Verwaltungsausschuss der Stadt Hannover tagen. Es ist davon auszugehen, dass er rechtliche Schritte der Stadt gegen die Entscheidung der Kommunalaufsicht ausschließen und damit der Linie des OBs folgen wird. So oder so, das Thema Halim-Dener-Platz wird die hannoversche Kommunalpolitik und OB Schostok noch länger beschäftigen.

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¹ Beanstandung der Benennung des Halim-Dener-Platzes durch das Landesinnenministerium vom 02.01.2018 der Link zur Entscheidung der Kommunalaufsicht.

Interview in der Tageszeitung „junge welt“

»Daß es zu Toten kommt, war absehbar«
Demo gegen rassistische Polizeigewalt: Vor 20 Jahren wurde Halim Dener von hinten erschossen. Gespräch mit Thomas Marburger
Interview: Elmar Millich

Link: http://www.jungewelt.de/2014/06-16/056.php

Thomas Marburger ist einer der Sprecher der »Kampagne Halim Dener«, die an den vor 20 Jahren von der Polizei in Hannover erschossenen kurdischen Flüchtling Halim Dener erinnert.

jw: Für den kommenden Samstag rufen Sie dazu auf, mit einer Demonstration von Teilnehmern aus ganz Deutschland in Hannover an den Kurden Halim Dener zu erinnern. Wie war er zu Tode gekommen?
Die genauen Umstände sind bis heute unklar, wofür die Schuld bei den ermittelnden Behörden und den Gerichten liegt. Ein Aufklärungswille hat ihrerseits nie bestanden. Die Ermittlungen waren fehlerhaft und haben Leerstellen gelassen. Fest steht, daß Halim mit Freunden in der Nacht des 30. Juni 1994 in der Hannoveraner Innenstadt Plakate mit dem Emblem der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans ERNK klebte und bei einem Festnahmeversuch von einem Polizisten in den Rücken geschossen wurde. An der Verletzung ist er wenig später gestorben. Der Täter hat behauptet, der Schuß habe sich versehentlich gelöst. Dem haben Indizien und Zeugenaussagen widersprochen. Trotzdem hat das Gericht den Polizisten sogar vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Der Beamte des Sondereinsatzkommandos war nach Ansicht des Gerichts mit der Festnahme eines unbewaffneten 16jährigen so überfordert, daß er – so wörtlich! – »den Schuß unter Streß in einer außergewöhnlichen Situation unabsichtlich abgegeben« habe.

jw: Wie war 1994 das politische Klima im Umgang mit der kurdischen Befreiungsbewegung?
Im November 1993 war das PKK-Verbot ergangen, in dessen Zuge drei Dutzend Organisationen und eine Betätigung im Sinne der Arbeiterpartei Kurdistans PKK – also jegliches politisches, soziales und kulturelles Engagement in der kurdischen Sache – verboten wurden. Die PKK galt als terroristische Vereinigung und damit jegliche Unterstützung als terroristischer Akt. Halims Mörder hat ausgesagt, er habe in der Festnahmesituation »nicht nur an eine Ordnungswidrigkeit oder eine Sachbeschädigung gedacht«, sondern an eine Unterstützungshandlung für die PKK. Das PKK-Verbot wurde von einer monatelangen Hetze gegen Kurden begleitet, die von Medien und Politik als gewalttätig und kriminell dargestellt wurden. Daß es zu Toten kommen würde, war absehbar.

jw: Hat sich daran heute viel geändert?
Die offene Brutalität ist einer unauffälligeren Repression gewichen, doch das PKK-Verbot hat nach wie vor Bestand. Die Stigmatisierung und Verfolgung trifft Zehntausende Menschen und ihre Organisationen. Es handelt sich also nicht um ein »rein kurdisches« Problem, sondern um eine Frage der Demokratie. Der Untertitel unserer Kampagne »gefoltert. geflüchtet. verboten. erschossen« soll auf weitere Ursachen hinweisen, die zum Tod Halims geführt haben.

Halim wurde in türkischer Haft gefoltert. Er war vor dem Krieg in Kurdistan geflohen und hatte etwa einen Monat vor seinem Tod in der BRD einen Asylantrag gestellt. Ein Jahr zuvor war nach öffentlicher rassistischer Hetze und Pogromen an Flüchtlingen und Migranten dieses Grundrecht aber faktisch abgeschafft worden. Der Schuß auf Halim ist auch ein Beispiel rassistischer Polzeigewalt.

jw: Bleibt die Demonstration eher eine kurdische Angelegenheit oder findet Sie auch Unterstützung in der deutschen Linken?
Der Aufruf zur Demo wird mittlerweile von 45 Gruppen vor allem aus dem antifaschistischen und autonomen Spektrum, aber auch von der DKP Hannover, der Grünen Jugend Göttingen und der Roten Hilfe unterstützt. Unsere Annahme, daß die Kämpfe gemeinsam gedacht und geführt werden müssen, findet Zustimmung.

jw: Welches Anliegen verfolgen Sie mit der Demonstration? Der Tod von Halim Dener liegt nun ja schon 20 Jahre zurück …
Gerechtigkeit wird es wohl auch in diesem Fall von Polizeigewalt nicht geben. Wir zeigen aber, daß wir Halim nicht vergessen und die Täter nach wie vor bekannt sind. Wir schaffen mit der Kampagne Bewußtsein bezüglich der Probleme, die zum Mord geführt haben sowie Öffentlichkeit für die Kämpfe gegen diese Probleme. Denn das ist es, was den Profiteuren von Krieg, Flucht, Repression, Rassismus und Gewalt die Geschäfte erschwert. Genau dazu wollen wir mit Veranstaltungen an vielen Orten sowie mit der zentralen Demonstration in Hannover beitragen.

Interview mit Aktivist*innen

„Halim hat die gleichen Symbole plakatiert, die wir heute auf unseren Pullis oder als Halskette tragen. Müssen wir nun Angst haben, dass uns deutsche Bullen erschießen?“

Kampagne Halim Dener: gefoltert. geflüchtet. verboten. erschossen.

Für den Kurdistan Report führte die Zeitschrift Ronahî ein Interview mit den AktivistInnen Medya (Ciwanên Azad) und Thomas (YXK – Verband der Studierenden aus Kurdistan).

Ronahî:
Was war für Euch der Anlass, eine Kampagne Halim Dener ins Leben zu rufen? Was unterscheidet die Kampagne von den Aktionen zum Tod Halims der letzten Jahre?

Medya: In den letzten Jahren gab es hier in Hannover immer eine kleine Demo oder Kundgebung am Jahrestag der Ermordung von Halim. Diese wurden auch immer von Gruppen aus der deutschen Linken in der Stadt getragen. Für sie hat Halims Tod eine gewisse Bedeutung, sodass sie auch dieses Jahr wieder etwas dazu machen wollten. Das hatten sie sich schon vorgenommen, bevor wir mit dem Vorschlag, eine gemeinsame Kampagne zu machen, zu ihnen gegangen sind.
Von unserer, kurdischer Seite wurden diese Aktionen leider immer weniger ernst genommen. Das wollen wir dieses Jahr, zum zwanzigsten Jahrestag des Mordes, ändern. In Hannover ist die Zusammenarbeit bereits besser geworden. Wir konzentrieren uns jetzt auf die gemeinsame Podiumsdiskussion.
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